Nach den Besprechungen der thematisch breiter angelegten CD-ROMs aus dem Hause Digital Publishing, "Die Geschichte der Deutschen" 1 und "Chronik des 20. Jahrhunderts" 2, läßt die Präsentation "lediglich" der Wissenschafts- und Technikgeschichte auf einer CD-ROM eine gewisse Tiefe der Darstellung und Sicherheit der Text- und Mediengrundlage erhoffen.
Technische Voraussetzungen sind ein Microsoft Windows-Betriebssystem (3.x, 95, 98 oder NT 4.0), 8 MB Arbeitsspeicher, Windows-kompatible Soundkarte sowie eine Bildschirmauflösung von 600 x 800 Bildpunkten. Die CD-ROM startet unter Windows 9x automatisch, sofern man die Autostartfunktion nicht deaktiviert hat. Die technische Handhabung war auf neueren Rechnern unter Windows 95 oder Windows NT unproblematisch, auf einem älteren Notebook unter Windows 95 mit einem externen Laufwerk hingegen scheiterte die Ausführung des Programms.
Nach dem Start gelangt man auf einen übersichtlichen Eröffnungsbildschirm, aber ohne Lektüre des Begleitheftchens wird man hier stecken bleiben, da nicht intuitiv klar ist, wie die durch den Mauszeiger aktivierten Schaltflächen zu den Informationen führen. Oben rechts finden sich Jahreszahlen in Zehnerschritten von 1900 bis 1990. Zwei davon muß man mit der Maus auf "haftende Plätze" am unteren Bildschirmrand ziehen, damit ist der Suchzeitraum definiert. Nun kann man fakultativ noch auf einen der sechs Themenbereiche (Wissenschaft und Medien, Energie und Rohstoffe, Produktion und Industrie, Transport und Verkehr, Mensch und Alltag, Technische Kultur) einschränken, indem man das entsprechende Bildschirmsymbol wiederum an den unteren Bildschirmrand zieht.
Hat man so etwa den Zeitraum von 1900 bis 1910 ohne Einschränkung auf eines der Themengebiete eingestellt, etwa um den CD-Inhalt möglichst chronologisch zu sehen, bekommt man nacheinander die folgenden alphabetisch angeordneten Artikel zu sehen: Abfallverwertung (Schwerpunkt des automatisch anlaufenden Videos sind die 1980er Jahre), Absoluter Nullpunkt, Amplitudenmodulation, Autogenschweißen, Automobile vom Fließband (wieder ein Video mit aktueller Rationalisierungs- und Umschulungsthematik, insbesondere erfährt man, daß bei umzuschulenden ausländischen Arbeitern die Sprachkenntnisse wichtig sind); nun kommt B wie Bakelit und Blitzen-Benz, dann kommt bereits C...
Man kann so in etwa hochrechnen, wie die Anzahl der Artikel für die weiteren Jahrzehnte sich ergibt. Die versprochenen insgesamt 1.800 Bildschirmseiten und 1.000 Abbildungen reduzieren sich so auf vielleicht 400-500 Druckseiten. Hinzu kommt Multimedia, d. h. eine nichtgezählte Menge Audio- und 50 Videoausschnitte.
Das Konzept der CD-ROM entpuppt sich soweit als schlichte Datenbankabfrage nach Jahrzehnt und Themengebiet, die Ergebnisse werden alphabetisch nacheinander ausgegeben ("verbleites Benzin" unter V), eine Darstellung etwa als Liste oder Tabelle, wie es jede einfache Datenbank erlaubt, ist nicht vorgesehen.
Die Texte zu den Einträgen haben sehr unterschiedliche Länge, die nicht unbedingt der Wichtigkeit der Stichworte angepaßt ist. Über Gene etwa finden sich 50 Worte, ein Foto, Verweise gibt es auf Pflanzen, Chromosomen, Lichtmikroskop und Informationseinheiten, nicht aber auf Gentechnik. Mehr erfährt man z. B. über das Radio; hier ergeben Texte und Medien eine kleine abgerundete Darstellung. Die Texte lassen sich nicht markieren oder sonst irgendwie kopieren, um sie etwa in eine Textverarbeitung zu übernehmen. Man kann sie lediglich auf eine Seite ausdrucken. - Es grüßt das Buch!
Klickt man auf eine Weltkugel, findet man über eine Suchfunktion die zu einem Stichwort passenden Einträge nach Jahrzehnten geordnet, interessanterweise beginnend mit 1850. Leider aber ist dies keine Volltextsuche, wie angekündigt wird. So findet man etwa zu "Heisenberg" oder "Weizsäcker" nichts, zu "Einstein" alles, was die CD-ROM zu ihm bietet. Kurzbiographien muß man durch eine umständliche Schaltfläche unter der Jahrzehnteauswahl suchen. Man erhält jeweils eine Liste von Personen, die - so erscheint es - ihre Schaffensperiode in eben diesem Jahrzehnt hatten. Man gelangt schließlich zu etwa 10-zeiligen Texten, in denen man erfährt, das Carl-Friedrich von Weizsäcker 1966 eine "Weltformel" "versuchte", während man die von Heisenberg im Jahrzehnt zuvor durch die Presse gegangene vergeblich sucht; dafür habe er die "Alotropen" des Wasserstoffs vorausgesagt, eine Information, die, so präsentiert, keinen Informationsgehalt besitzt. Es gibt des weiteren Kurzbiographien, bei denen jede zweite Jahreszahl oder Ort nicht stimmen, wie z.B. bei Max Born, von dem wir erfahren, daß er das "Apeiron" in die Physik eingeführt hätte. (Kann es sein, daß diese völlig abgelegenen Informationen, solche sind, die Lexikahersteller absichtlich einstreuen, um Abschreiber zu überführen? Leider wird für die Textgrundlage der CD-ROM insgesamt keine Angabe gemacht.) Interessanterweise haben hier auch Charlie Chaplin und Steven Spielberg ihren Platz in Wissenschaft und Technik gefunden.
Nach der stiefmütterlichen Behandlung der Wissenschaftler werden auch ihre Entdeckungen und Theorien nie angemessen behandelt. Vielleicht hat man sich bei der speziellen Relativitätstheorie noch am meisten Mühe gegeben, die "derart gradlinig" sei, "daß sie in ihren Grundzügen auch Nichtmathematikern einfach vermittelt werden kann", was dann auch auf vier Bildschirmseiten versucht wird.
Insgesamt mangelt es an Orientierungsmarken: Zwischen den Einträgen bewegt man sich hauptsächlich mit Vor- und Zurück-Tasten. Natürlich sind alle Stichworte durch Links hinterlegt, die aber in vielen Fällen in ganz andere Zusammenhänge führen. Einfache und praktische Darstellungsmittel wie z. B. eine Tabelle aller Nobelpreisträger oder eine Zeitleiste für die Entwicklung der Verkehrstechnik sucht man vergebens.
Etwas besser als mit der Behandlung der Naturwissenschaften steht es mit der Technik, auch wenn hier die Luftfahrt gegenüber den anderen Bereichen dominiert. Die Bereiche Verkehr, Elektrizität usw. werden größtenteils auf dem Niveau der "Was ist Was"-Bücher behandelt. Meist kurze Ausschnitte aus Reportagen, die an das Schulfernsehen erinnern, bilden den Multimediapart. Abrupte Übergänge und ungeklärte Bezüge lassen diese "clips" in der Luft hängen. Einige historische Dokumente sind interessant, z.B. Hans Dominiks Bericht über Hochspannungsexperimente "aus den 40er Jahren"; anscheinend soll sich der Nutzer selbst denken, daß das Dokument wohl aus den ersten und nicht den letzen fünf Jahren dieses Jahrzehnt stammt.
Im Gegensatz zu den Geschichts-CDs braucht hier die Frage nach der Nähe zum Forschungsstand gar nicht gestellt zu werden: ein wissenschafts- oder technikhistorischer Anspruch ist nirgends zu erkennen. Es ist eine rein museale Präsentation der Errungenschaften der Wissenschaft und Technik mit einigen Hinweisen auf ihre sozialen Wirkungen.
Zusammenfassend muß festgestellt werden, daß leider weder die gegebenen Informationen der CD-ROM zuverlässig sind, noch das Konzept als stimmig bezeichnet werden kann. Ein Buch mit dem gleichen Inhalt (ggf. mit Video- oder Audiokassette) hätte einen größeren Gebrauchswert gehabt. Die auf der Verpackung versprochene "interaktive Reise durch die Zeit" findet nicht statt. Für den Historikers ist die hier besprochene CD-ROM von einigen wenigen interessanten Tondokumenten abgesehen kein Gewinn. Die Zielgruppe wären am ehesten interessierte Jugendliche, für die aber die Präsentation des Materials völlig ungeeignet ist. Edutainment ist für diese CD-ROM ein Fremdwort.
Anmerkungen:
1 Vgl. Rezension von Guido Müller für H-Soz-u-Kult:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensio/digital/cdrom/multimed/mugu0599.htm
2 Vgl. Rezension von Gabriele Metzler für H-Soz-u-Kult:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensio/digital/cdrom/multimed/mega0899.htm